UNTER DEM SCHMERZ DIE LIEBE

Wir kennen uns schon lange, das ältere Ehehpaar und ich. Gelegentlich kommen sie zu Behandlungen. Sie haben eine lange Geschichte mit ihren Schmerzen und ich helfe so gut ich kann.
Das heutige Treffen verläuft anders. Ein Raum öffnet sich und sie erzählen, wie der Krieg sie beide in jungen Jahren zu Waisen gemacht hat, die unter härtesten Bedingungen bei fremden Menschen aufwuchsen. Sie sprechen von den Narben, die das hinterlassen hat, von der Schlaflosigkeit, der Wut und Verzweiflung und davon, dass es manchmal zuviel war. Sie sprechen auch von ihrem gemeinsamen und erfolgreichen Versprechen, besser für ihre Kinder und Enkel zu sorgen, als für sie gesorgt wurde.

Und auf einmal darf der Schmerz und dürfen die Narben da sein, so, wie sie sind. Nicht länger nötig, sie zu bekämpfen und den tausendsten Experten aufzusuchen. Ohne viele Worte wird uns bewusst, dass die Schönheit und Kraft des Lebens auch Wurzeln in unserem Schmerz haben und dass unsere Narben Zeichen von Würde und Lebenswille sind und nicht Male des Versagens.
Der Mann weint. Vielleicht wird er sich später seiner Tränen schämen, doch jetzt ist offensichtlich, dass es Tränen der Liebe sind. Tränen der tiefen Verbundenheit mit dem Leben. Auch unter dem größten Schmerz liegt die Liebe und wir müssen ihn ganz fühlen, bevor sich die Liebe zeigt.

PicsArt_12-03-10.26.22Das ist nicht leicht und widerspricht unseren konditionierten Verhaltensmustern.
Deshalb entscheiden sich viele Menschen dafür, ihren Schmerz zu hassen, obwohl sie sich danach sehnen, zu lieben. Aber Liebe trennt nicht und kennt keine Unterschiede. Wenn wir Liebe erfahren wollen, müssen wir in der Gegenwart anfangen und das lieben, was sich jetzt zeigt, auch wenn es manchmal schmerzt. Was sonst können wir lieben, wenn nur die Gegenwart wirklich existiert? Und wen können wir sonst lieben, wenn nicht auch uns selbst, so wie wir wahrhaft sind?

Ist es möglich, das, was schmerzt, sanft in das Herz nehmen?
Können wir zulassen, dass der Schmerz uns lebendig und präsent sein lässt?
Verstehen wir, dass nicht im Schmerz, sondern im Widerstand dagegegen der Grund für unser Unglücklichsein liegt?

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